Die Integration von Umwelt- und Sozialkriterien sowie ethischen Aspekten der Unternehmensführung (aus dem Englischen „Environmental, Social and Governance“, kurz ESG) in internationale Handelsgeschäfte verändert sich zunehmend von einer freiwilligen Selbstverpflichtung zur regulatorischen Notwendigkeit. Mit der Einführung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der EU-Taxonomie-Verordnung müssen Unternehmen umfassende ESG-Compliance-Systeme implementieren, die den grenzüberschreitenden Warenverkehr erfassen.
Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die Zollabwicklung aus und bringt neue Anforderungen im Hinblick auf die Überwachung und Dokumentation mit sich. Die Verbindung von ESG-Kriterien und Zollrecht drückt sich unter anderem in der Nachverfolgbarkeit von Lieferketten, der CO2-Bilanzierung von Transporten und der Einhaltung sozialer Standards in Drittstaaten aus. Unternehmen sehen sich der Herausforderung gegenüber, bereits bestehende Compliance-Systeme um den Bereich der ESG-Kriterien zu erweitern.
Regulatorische Grundlagen der ESG-Compliance
Im wirtschaftlichen Kontext umfassen die ESG-Kriterien und die damit in Verbindung stehende Compliance verschiedene Wirkungsbereiche. Auf der einen Seite geht es um den Blick auf die Kosten und den mit der Dokumentation verbundenen Aufwand. Auf der anderen Seite können der Umsetzung auch positive Effekte zugeschrieben werden – beispielsweise derart, dass das Unternehmen eine Imageaufwertung erfährt, wenn es mit Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung in Verbindung gebracht wird.
Ein zentrales Regelwerk ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (EU) 2022/2464, die zur Offenlegung nachhaltiger Geschäftspraktiken verpflichtet. Mit diesen Regeln müssen sich gerade große Unternehmen und Betriebe aus dem Mittelstand (die Unternehmen von öffentlichem Interesse sind) beschäftigen, für die die Einhaltung verschiedener ESG-Regeln zwingend ist. Darunter fallen Wertpapier- und Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Betriebe, deren Interessenstatus von einem Mitgliedstaat der Union so bestimmt wurde. Als wirtschaftlich groß gilt ein Unternehmen, wenn es mindestens zwei der folgenden drei Voraussetzungen erfüllt:
- mehr als 250 Angestellte,
- über 50 Millionen Euro Umsatz,
- über 25 Millionen Bilanzsumme.
Die Berichtspflicht erstreckt sich auf internationale Handelsaktivitäten sowie deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft . Die Verordnung (EU) 2020/852 (EU-Taxonomie-Verordnung) umfasst weitere Kriterien ökologisch-nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten, die bei einer Klassifizierung von Handelsgütern zu berücksichtigen sind.
Ergänzend führt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – kurz auch „Lieferkettengesetz“ – in Deutschland Sorgfaltspflichten ein, die deutsche Unternehmen ab einer Größe von 1.000 Beschäftigten treffen und zur Überwachung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten innerhalb der gesamten Lieferkette verpflichten. Grundsätzlich werden
- Unternehmen mit Hauptsitz oder Verwaltungssitz
- Zweigniederlassung und
- Tochtergesellschaften
in Deutschland vom Lieferkettengesetz erfasst und unterliegen ab dem ab 31. Dezember 2025 der Pflicht zur Berichterstattung an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
Neben weiteren Vorschriften, wie der EU-Verordnung 2023/1115 zur Bekämpfung der Entwaldung (gilt für große und für mittlere Unternehmen verbindlich ab dem 30. Dezember 2025, für Kleinst- und kleine Unternehmen ab dem 30. Juni 2026), verschärfen internationale Vorgaben – etwa basierend auf den Regelwerken der IFRS Foundation (zum Beispiel für Großbritannien, Australien, Japan und Brasilien) die Anforderungen zusätzlich.
Die Vorschriften fordern zum Beispiel bei der Einfuhr bestimmter Rohstoffe wie Palmöl, Soja oder Holz, dass bei deren Förderung bzw. Herstellung gewisse Kriterien erfüllt werden und sie nicht aus Rodungsgebieten stammen. Solche Anforderungen lassen sich von Unternehmen nur erfüllen, wenn eine lückenlose Dokumentation erfolgt. Bei der Begleitung durch eine professionelle Zollagentur profitieren Unternehmen von einer umfassenden Expertise, die sich regelmäßig aus langjähriger praktischer Erfahrung und umfassender Kenntnis der Zollverfahren zusammensetzt.
Auswirkungen der ESG-Anforderungen auf die Zollabwicklung
Die Einführung verschiedener ESG-Kriterien und Vorschriften auf Ebene der EU und den verschiedenen nationalen Gesetzgebungen hat Auswirkungen auf die Zollabwicklung. Dabei wird bei wirtschaftspolitischen Verhandlungen zwischen der EU und Drittstaaten auch der Versuch unternommen, eine starke Harmonisierung zollrechtlicher Bestimmungen zu erreichen.
Dies geht weit über die Tarifierung der Waren hinaus. Bereits die Ursprungsbestimmung von Waren kann in diesem Zusammenhang wichtige Informationen enthalten. Dabei gewinnen Präferenznachweise eine erweiterte Bedeutung, da sie nicht mehr ausschließlich handelspolitische, sondern auch nachhaltigkeitsbezogene Aspekte umfassen müssen. Insbesondere bei den Dokumentationsprozesse ergibt sich ein Anpassungsbedarf, da Handelsrechnungen, Packlisten und Ursprungszeugnisse etc. konsequent ESG-relevante Informationen enthalten müssen. Die erforderlichen Angaben zielen insbesondere auf die Produktionsbedingungen und Umweltauswirkungen sowie die Auswirkungen auf soziale Standards ab.
Dokumentationsanforderungen zur Erreichung der ESG-Compliance
Um die Erfüllung der ESG-Vorgaben auch wirklich nachweisen zu können, bedarf es einer umfassenden Dokumentation, die bestimmten Anforderungen gerecht werden muss. Nachvollziehbarkeit bedeutet, dass sich die Daten und Angaben im Fall der Überprüfung über die gesamte Lieferkette hinweg nachverfolgen lassen. Außerdem ist zu prüfen, ob alle wichtigen Nachhaltigkeitsparameter erfasst sind (Wesentlichkeitsanalyse). Darüber hinaus ist die Dokumentation von Bedeutung, um Stakeholder in Prozesse einzubinden und deren Interessen zu berücksichtigen.
Letztlich erfordern ESG-Kriterien in internationalen Handelsgeschäften die Implementierung mehrstufiger Berichtssysteme. Diese müssen nicht nur die unmittelbaren Handelspartner, sondern die gesamte Lieferkette (auch mit vorgelagerten Elementen) erfassen. Die Dokumentation muss die verschiedenen Kategorien berücksichtigen.
- Umwelteinfluss-Dokumentation umfasst die CO2-Bilanzierung von Transporten, die Erfassung von Verpackungsmaterialien und deren Recyclingfähigkeit sowie die Dokumentation von Umweltstandards in den Herstellungsländern. Diese Informationen sind kontinuierlich zu aktualisieren. Um den CO2-Fußabdruck berechnen bzw. den Ausstoß bestimmen zu können, müssen präzise Daten über Transportwege, verwendete Verkehrsmittel und Energiequellen zur Verfügung stehen.
- Social-Impact-Dokumentation umfasst die Einhaltung von Arbeits- und Sicherheitsstandards, faire Bezahlung und außerdem die Vermeidung von Kinderarbeit in der gesamten Lieferkette. Um an dieser Stelle den ESG-Kriterien gerecht zu werden, wird heute schon oft mit regelmäßigen Audits bei Lieferanten gearbeitet. Zertifizierungen durch externe Prüfdienstleister liefern in diesem Zusammenhang wichtige Hinweise. Aufgrund der engen Verflechtungen sind die Anforderungen an die Belegsicherung in diesem Zusammenhang sehr komplex.
- Governance-Dokumentation erfasst die Unternehmensführung bzw. die Selbstverwaltung der Handelspartner. Im Fokus stehen dabei unterschiedliche Elemente – angefangen von der Geschlechterstruktur im Vorstand und den oberen Führungsebenen über die Mitarbeitervergütung und ethische Ansprüche der Partnerunternehmen bis hin zum Thema Transparenz. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Belegsicherung in einer Weise erfolgen muss, dass Messmethoden, Datenquellen sowie interne Kontrollmechanismen dokumentiert werden und jederzeit abrufbar sind. Insofern bedarf es eines Ansatzes, mit dem eine hohe Redundanz (zur Absicherung der Datenverfügbarkeit bei technischen Ausfällen) und eine umfassende Verfügbarkeit aller Informationen gewährleistet werden kann.
Technische Umsetzung von ESG-Dokumentationssystemen
Die praktische Umsetzung von ESG-Compliance-Systemen erfordert die Integration verschiedener Datenquellen und die Entwicklung standardisierter Schnittstellen zwischen den Systemen innerhalb des Unternehmens, externen Partnern und Kontrollgremien. Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP) müssen daher um ESG-Module erweitert werden, wobei die Systeme so anzulegen sind, dass eine automatisierte Erfassung und Bewertung von Nachhaltigkeitskriterien möglich ist.
Wichtig ist in diesem Kontext, dass Informationen praktisch in Echtzeit zur Verfügung stehen, zum Beispiel für eine Prüfung, und die ESG-Daten gleichzeitig manipulationssicher dokumentiert werden. Gerade Blockchain-Technologien können in diesem Zusammenhang in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Gleichwohl erfordert die Implementierung eine enge Zusammenarbeit mit allen Akteuren der Lieferkette.
Gerade in der Auswertung und dem kontinuierlichen Monitoring ist es denkbar, künstliche Intelligenz (KI) als Werkzeug einzusetzen. Über spezielle Schnittstellen (APIs) lassen sich Daten direkt einspeisen und automatisiert bewerten, sodass sich ESG-Risiken und potenzielle Compliance-Verstöße frühzeitig identifizieren lassen. Da KI ihre Stärke in der Analyse großer Datenmengen hat und Muster erkennen kann, werden Fälle mit potenziellen Risiken zur endgültigen Bewertung direkt an den Compliance-Beauftragen weitergeleitet. So ist es möglich, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen und einen drohenden ESG-Verstoß abzuwenden.
Reporting-Anforderungen und Berichtssysteme
Die CSRD verpflichtet Unternehmen zur Veröffentlichung detaillierter ESG-Berichte, in denen auch auf die internationalen Handelsaktivitäten einzugehen ist. Die Berichte erfordern eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Aspekten, wie Produktkategorien, Herkunftsländern und Handelsrouten. Über quantitativ messbare Daten wie die CO2-Emissionen oder den Wasserverbrauch hinaus muss das Reporting auch qualitative Bewertungen bezüglich der sozialen Auswirkungen der Geschäftsprozesse und der Governance-Praktiken enthalten.
Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) definieren spezifische Inhalte und Formate für ESG-Berichte. Diese Standards setzen eine Segmentierung der Berichterstattung nach geografischen Regionen und Geschäftsbereichen voraus. Für international tätige Handelsunternehmen bedeutet dies eine komplexe Zuordnung von ESG-Daten zu spezifischen Handelsgeschäften und deren Auswirkungen.
Im Rahmen von Quartalsberichten (Quarterly Reporting) lässt sich die ESG-Performance anhand kurzer Zeiträume beobachten und überwachen, was eine schnelle Identifikation von Abweichungen ermöglicht. Allerdings erfordert eine derart regelmäßige Berichterstattung den Einsatz automatisierter Datenerfassungssysteme, die ESG-relevante Informationen kontinuierlich aus der Zollabwicklung extrahieren und aufbereiten.
Fazit: ESG-Compliance wird integraler Bestandteil der Zollabwicklung
Die ESG-Kriterien gewinnen in vielen unternehmerischen Prozessen an Bedeutung – auch, weil der Markt Unternehmen damit immer stärker konfrontiert. Inzwischen ist die ESG-Compliance durch entsprechende gesetzliche Regelungen aber auch zu einem integralen Bestandteil der Geschäftstätigkeit geworden. Die erfolgreiche Implementierung erfordert den Umbau etablierter Prozesse in der Zollabwicklung – gerade, was das Handling der Informationen zwischen Hersteller, Zwischenhändler und Logistikpartner angeht. Unternehmen, die früh in ESG-Compliance-Systeme investieren, verschaffen sich nicht nur im Hinblick auf die Einhaltung rechtlicher Vorgaben Sicherheit, sondern auch Wettbewerbsvorteile durch eine verbesserte Transparenz und Effizienz ihrer Lieferketten.