Technische Innovationen wie künstliche Intelligenz (KI) und ein wachsender Digitalisierungsgrad verändern auch den unternehmerischen Alltag. Spürbar wird dies auf vielen Ebenen, unter anderem auch im Hinblick auf Zollprozesse. Bereits heute spielen KI-Tools und Blockchain-Lösungen eine zunehmende Rolle. Als Folge dieser Entwicklung werden in naher Zukunft auch Zollagenturen ihre Dienstleistungen an die neuen Gegebenheiten anpassen oder sind bereits dabei.
Parallel zu den klassischen Beratungsangeboten, die als Kernaufgabe weiterhin existieren werden, werden Verzollungsbüros neue technische Innovationen in ihr Dienstleistungsangebot integrieren. In diesem Zusammenhang hat sich – in Anlehnung an die Transformation in der Industrie – das Konzept der Zollagentur 4.0 etabliert.
Definition und Aufgaben der Zollagentur 4.0
Der Begriff „Zollagentur 4.0“ steht für eine Veränderung herkömmlicher Zolldienstleistungen, bei denen zunehmend digitale Technologien, eine wachsende Automatisierung und datengestützte Prozesse systematisch zum Einsatz kommen. Die Analogie zum Begriff der „Industrie 4.0“ soll die starke Vernetzung von physischen und digitalen Systemen ausdrücken.
Allerdings darf der Begriff nicht dahingehend verstanden werden, dass die herkömmlichen Beratungsleistungen der Zollagenturen ersetzt werden oder einfach verschwinden sollen. Die Integration von KI, maschinellem Lernen, dem Internet of Things (IoT) und cloudbasierten Plattformen in die typischen Dienstleistungen einer Zollagentur wird die etablierten Prozesse zwar verändern, aber nicht komplett ersetzen können.
Vielmehr geht es um die Erzeugung einer Synergie, die sich aus der Verknüpfung verschiedener Datenquellen und Systemen, der durchgängigen Automatisierung (von der Auftragserfassung bis zur finalen Zollabfertigung), dem Aufbau einer Predictive-Analytics-Infrastruktur (zur automatisierten Vorhersage von Flaschenhalseffekten) und der Analyse bestehender Zollabwicklungsprozesse sowie umfassenden Beratungsleistungen ergibt.
Der hinter dem Konzept der Zollagentur 4.0 stehende Ansatz ist darauf ausgerichtet, stark repetitive Tätigkeiten von Algorithmen und Automatisierung erfüllen zu lassen, während die menschliche Expertise weiterhin für komplexe Entscheidungen und die strategische Zollberatung eingesetzt wird.
Technologische Grundlagen und Systemarchitektur der Zollagentur 4.0
Um die formulierten Ziele zu erreichen, muss an mehreren Punkten angesetzt werden. Die Zollagentur 4.0 ist von einer technischen Infrastruktur abhängig, in der mehrere Komponenten ineinandergreifen. Zu den zentralen Elementen gehört eine cloudbasierte Plattform (als Schnittstelle und „digitales Rückgrat“ für die Integration verschiedener Teilsysteme). Diese Architektur ermöglicht über Knotenpunkte einerseits die Verarbeitung von Daten in Echtzeit, kann auf der anderen Seite aber auch automatisiert mit nationalen Zollsystemen kommunizieren. Gleichzeitig überwacht das System die Warenlieferung und berechnet die Ankunft voraus, was die Planbarkeit deutlich verbessert.
KI spielt im Konzept der Zollagentur 4.0 eine Schlüsselrolle – unter anderem in der automatisierten Klassifizierung von Waren, der Ursprungsbestimmung und der Compliance-Prüfung. Machine-Learning-Algorithmen analysieren historische Versanddaten, um daraus Muster zu erkennen, die dann dazu dienen können, potenzielle Probleme oder Verzögerungen vorherzusagen. Über die Einbindung von NLP-Tools (Natural Language Processing) können Informationen aus Handelsdokumenten und Verträgen automatisiert extrahiert werden, um diese aufbereitet in die Compliance-Prüfung einzubinden.
Der Aufbau einer solchen technischen Infrastruktur setzt eine umfassende Expertise voraus, da einerseits der Innovations- und Ressourcenaspekt (die Systeme müssen nach oben skalierbar sein) eine Rolle spielen, auf der anderen Seite aber auch der Datenschutz und Sicherheitsfragen zu berücksichtigen sind.
Kundenbetreuung in der Zollagentur 4.0
Ein wesentlicher Punkt im Konzept der Zollagentur 4.0 ist die Entwicklung einer automatisierten Kundenbetreuung. Als zentrales Element können dabei auf KI-Technologien basierende Chatbots und virtuelle Assistenten zum Einsatz kommen. Für Beratung suchende Unternehmen bringt dies den Vorteil, jederzeit einen Ansprechpartner mit Fragen und Problemen adressieren zu können.
Diese Tools werden durch maschinelles Lernen und umfassendes Training in die Lage versetzt, gewisse Fragestellungen selbständig zu beantworten und können Kunden über den Status ihrer Sendungen informieren. Darüber hinaus werden automatisierte Benachrichtigungssysteme in der Lage sein, Kunden über kritische Ereignisse wie Verzögerungen, das Erfordernis zusätzlicher Dokumente oder Änderungen in den Zollbestimmungen selbstständig zu informieren.
Zudem werden Self-Service-Portale Unternehmen in die Lage versetzen, eigenständig Aufträge zu erstellen, Dokumente hochzuladen und den Fortschritt ihrer Sendungen nachzuverfolgen. Durch eine Verknüpfung mit intelligenten Benutzeroberflächen (Dashboards) lassen sich innerhalb der Plattformen wichtige Kennzahlen zur Zollabwicklung visualisieren und Kunden zur Verfügung stellen.
Integration in herkömmlichen Zolldienstleistungen
Eine hoher Grad an Automatisierung im Sinne der Zollagentur 4.0 wirkt auf den ersten Blick wie eine Reduzierung traditioneller Beratungs- und Serviceleistungen. Tatsächlich geht es aber nicht darum, die bisher angebotenen Zolldienstleistungen zu ersetzen. Vielmehr steht eine Erweiterung im Mittelpunkt, die Innovation nutzt, um Abläufe zu optimieren.
Die Automatisierung übernimmt standardisierte Prozesse wie die Zollanmeldung, eine Erstellung von Ursprungszeugnissen und Überwachungsfunktionen im Sendungsstatus sowie von Compliance-Anforderungen – Aufgaben, die in der Vergangenheit eine starke Bindung menschlicher Ressourcen verursacht haben. Dennoch werden professionelle Zolldienstleister der zentrale Anlaufpunkt für Unternehmen bleiben, vor allem bei komplexen Beratungsleistungen, der Interpretation neuer Zollvorschriften und der Bearbeitung umfangreicher Warenlieferungen. So wird eine Art hybride Struktur entstehen, in der Zollexperten den Fokus insbesondere auf
- die Erbringung von Beratungsleistungen,
- die Entwicklung strategischer Zolloptimierungen und kundenspezifischer Lösungen sowie
- die Verhandlungen mit Zollbehörden
richten können.
Die Automatisierung soll die Abwicklung repetitiver Prozesse erleichtern und bei Steuerungsfragen Menschen einbinden. Auf diese Weise ermöglicht das Konzept der Zollagentur 4.0 eine flexible Skalierung der Dienstleistungen je nach Bedarf und Komplexität der betreffenden Zollangelegenheit.
Welche Vorteile und Herausforderungen bringt das Konzept der Zollagentur 4.0
Das Konzept der Zollagentur 4.0 bietet vor allem Potenzial zur Steigerung der Effizienz, indem manuelle Arbeitsschritte reduziert und Standardprozesse beschleunigt werden. Als Klienten profitieren Unternehmen so von einer kürzeren Bearbeitungszeit und einer 24/7-Verfügbarkeit grundlegender Serviceleistungen.
Durch die Automatisierung entstehen zudem auf lange Sicht Kosteneinsparungen (in Verbindung mit einer besseren Verteilung der Ressourcen). Im Rahmen des maschinellen Lernens lassen sich die verschiedenen Systeme und Prozesse analysieren und optimieren, was im weiteren Verlauf zur Reduzierung von Fehlern beitragen kann.
Herausforderungen entstehen gerade zu Beginn durch die Komplexität der Automatisierungssysteme und deren Implementierung. Außerdem ist bezüglich der Beschaffung bzw. Implementierung der Technologie und der Durchführung entsprechender Mitarbeiterschulungen mit einem nicht ganz geringen finanziellen Aufwand zu rechnen. Zudem benötigen die Integration und die Gewährleistung der Datensicherheit umfassendes Know-how hinsichtlich der technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Compliance in der Zollagentur 4.0
Der Aufbau bzw. die Implementierung einer Zollagentur 4.0 unterliegt in der Praxis strengen rechtlichen Anforderungen, die sich unter anderem aus dem Unionszollkodex (UZK) und weiteren Verordnungen ergeben. Unter anderem befasst sich Artikel 18 UZK mit dem Thema der Vertretung in Zollangelegenheiten. Die eingesetzten automatisierten Systeme unterliegen letztlich den gleichen Haftungsstandards wie traditionelle Zollvertreter. Zudem spielt der Datenschutz vor dem Hintergrund der Verarbeitung personenbezogener Daten eine Rolle. Artikel 22 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt der Automatisierung in diesem Zusammenhang klare Rahmenbedingungen vor.
Fazit: Mit der Zollagentur 4.0 Prozesse und Ressourcen skalieren
Durch die voranschreitende Digitalisierung und technische Innovationen werden in der Zollberatung in immer mehr Bereichen automatisierte Lösungen zum Einsatz kommen. Das Konzept der Zollagentur 4.0 setzt auf die konsequente Nutzung dieser neuen Möglichkeiten, um die Zolldienstleistung erfolgreich in die digitale Welt zu übertragen und anzupassen. So ergibt sich aus einer geschickten Kombination von Automatisierung und menschlichem Know-how im Bereich der Zolldienstleistungen das Potenzial für mehr Effizienz und Ressourcenschonung sowie eine noch stärker problemorientierte Zollabwicklung. Der Branche steht somit in den kommenden Jahren eine spannende und vielversprechende Entwicklung bevor, die bereits begonnen hat.