Die zunehmende Etablierung kurzer Lieferzeiten und wachsende regulatorische Pflichten erhöhen den Druck auf Unternehmen, die in internationale Handelsgeschäfte involviert sind. Lieferverzögerungen werden zu einem ernstzunehmenden Problem: Es entstehen gestörte Lieferketten, die Produktionsprozesse verlangsamen oder zum Stillstand bringen können und möglicherweise sogar Vertragsstrafen nach sich ziehen.
Predictive Analytics (Vorhersageanalysen) bieten dafür in Form elektronischer/digitaler Prognosen von Lieferverzögerungen eine Lösung. Dabei handelt es sich um mathematische Vorhersagemodelle, die Lieferkettendaten analysieren sowie Zollprozesse und externe Faktoren in ihre Bewertung einbeziehen. Die daraus resultierenden Informationen ermöglichen Unternehmen, im Fall von Unregelmäßigkeiten aktiv zu reagieren. Der den Predictive Analytics zugrunde liegende Gedanke ist auch in den Vorschlag für die angestrebte EU-Zollrechtsreform eingeflossen, welche die Digitalisierung von Zollprozessen durch einen eigenen EU Customs Data Hub weiter vorantreiben soll.
Was versteht man unter Predictive Analytics?
Predictive Analytics ist ein Begriff, der die Nutzung verschiedener mathematischer und technischer Methoden zur Vorhersagewahrscheinlichkeit für bestimmte Ereignisse zusammenfasst. In diesem Kontext fließen:
- statistische Modelle,
- Machine Learning (ML) und
- künstliche Intelligenz (KI)
in den Prozess ein. Aus historischen und Echtzeit-Daten leiten die Modelle Wahrscheinlichkeiten dafür ab, ob eine Sendung pünktlich ankommt oder eine Lieferverzögerung – zum Beispiel durch eine Zollprüfung – zu erwarten ist.
Zu den Daten, die für Predictive Analytics im Exportmanagement benutzt werden, gehören unter anderem:
- Versand- und Transportdaten, die mit Echtzeit-Tracking-Informationen kombinierbar sind,
- Zollabwicklungszeiten,
- Wetterdaten (relevant unter anderem im Luftfrachtsegment).
Im Vergleich zu manuellen Schätzungen zur Estimated Time of Arrival (ETA) haben Predictive-Analytics-Lösungen den Vorteil, große Datenmengen besser verarbeiten und darin Muster erkennen zu können. Hintergrund: Lieferketten im grenzüberschreitenden Warenverkehr sind allgemein komplex aufgebaut und werden unter anderem von unterschiedlichen Zollprozessen oder Schwankungen in den Bearbeitungszeiten bei der Zollabfertigung beeinflusst.
Aber auch die Implementierung von Änderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen – wie dem Unionszollkodex (UZK) oder dem ab 1. September 2025 geltenden Release 3 des Import Control System 2 – sorgen dafür, dass sich Zollprozesse ändern. Werden diese Aspekte in die Modelle der Predictive Analytics zeitnah eingebaut, sind Prognosen auch bei sich ändernden Bedingungen möglich.
Wie funktionieren Predictive Analytics in der Praxis?
Um Predictive Analytics im Rahmen des grenzüberschreitenden Warentransports einzusetzen, müssen verschiedene Rahmenparameter erfüllt sein. Ein wichtiger Punkt ist die umfassende Digitalisierung der verschiedenen Prozesse. Gerade im Hinblick auf die Zollverfahren kann hier ein Flaschenhals entstehen. Mit dem in der Zollreform geplanten EU Customs Data Hub werden sich in Zukunft viele Daten zusammenfassen lassen.
Um in entsprechenden Fällen eine Risikowarnung geben zu können, folgt das Frühwarnsystem verschiedenen Schritten. Dazu gehören:
- Datensammlung: Hier werden interne Daten, wie Versand- und Zollhistorie oder die internen Vorlaufzeiten, mit externen Daten zur Auslastung der Logistik-Hubs (Häfen, Flugplätze) oder etwaigen Streiks kombiniert. Bei der Datenerhebung spielt unter anderem auch eine Rolle, inwiefern Beteiligte den AEO-Status (Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter) und die damit verbundenen Vereinfachungen im Verzollungsprozess in Anspruch nehmen können.
- Feature Engineering und Modellierung: Hier werden Merkmale in Form von Risikofaktoren entwickelt. Diese können zum Beispiel in einer sehr starken Auslastung von Häfen (messbar über den Port Congestion Index) oder dem Vorliegen von Sondereffekten, wie nationalen Feiertagen, bestehen. Anhand dieser Merkmale entwickeln die Vorhersageanalysen Modelle für die voraussichtliche Ankunftszeit und die Erkennung von Anomalien – zum Beispiel bei der Zollabwicklung.
- Alarmierung über Schwellenwerte: Die Modellierungsergebnisse allein haben für Unternehmen noch keinen besonderen Nutzen. Für die Alarmierung bei spezifischen Versandprozessen müssen für relevante Kennzahlen (zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit einer Verzögerung) und Schwellenwerte definiert werden. So kann beispielsweise individuell festgelegt werden, dass eine Verzögerung bis 25 Prozent noch im grünen Bereich liegt, während Verzögerungen von 25 bis 40 Prozent bereits kritisch sind und daher im gelben Bereich liegen.

Welche Vorteile bieten Predictive Analytics für Unternehmen?
Aus unternehmerischer Sicht erlauben Predictive Analytics das Erkennen von Risiken, deren Eintreten gravierende finanzielle Folgen hätte. Von Bedeutung ist dies zum Beispiel für Bereiche mit Just-in-Time-Produktion, bei denen ausbleibende Lieferungen von Komponenten und Materialien Prozesse gefährden und Vertragsstrafen für die Logistikunternehmen nach sich ziehen.
Aber auch im Hinblick auf das Verbringen saisonaler, leicht verderblicher Ware und in der Kontraktlogistik kann der Einsatz von maschinellem Lernen und KI (zur Generierung von Problemvorhersagen) umfassende Potenziale abrufen.
Anhand der Predictive Analytics wird zum Beispiel durch eine Dokumentenprüfung automatisch analysiert, ob die Unterlagen vollständig sind. Zusätzlich hilft die Analyse in der Ressourcenplanung, um Prozesse innerhalb der Lieferkette genau dann engmaschig zu betreuen, wenn dies auch wirklich erforderlich ist. Ein solcher Einsatz der Analysemodelle hilft, unnötige Lagerkosten, Vertragsstrafen und einen möglichen Imageverlust gegenüber Geschäftspartnern zu vermeiden.
Vorteile der Predictive Analytics für Unternehmen im Überblick:
- Frühzeitige Erkennung relevanter Transport- und Zollrisiken
- Optimierung in der Ressourcenplanung
- Geringere Kosten durch höhere Effizienz im Exportgeschäft
- Unterstützung der Compliance-Abteilung im Unternehmen
Best Practices für den Einsatz von Predictive Analytics im Exportmanagement
Vorhersageanalysen tragen, wenn sie richtig eingesetzt werden, zu einer Steigerung der Effizienz in Exportprozessen bei. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie Unternehmen Predictive Analytics optimal implementieren können.
- Hohe Datenqualität sicherstellen: Vollständige und aktuelle Daten sind die Voraussetzung für eine hohe Aussagekraft der Predictive Analytics. Diese können im Rahmen der Datenanalytik aus verschiedenen Schnittstellen gewonnen werden, wie beispielsweise über die Systeme von Transportdienstleistern und aus ERP-Lösungen (Enterprise Resource Planning). Wichtig ist hierbei, mit standardisierten Datenformaten zu arbeiten, die Daten regelmäßig zu validieren und bereinigen sowie Data-Governance-Prozesse zu etablieren.
- Integration in bestehende Prozesse: Eine besondere Herausforderung ist die Integration der Vorhersageanalysen in laufende Geschäftsprozesse. Unternehmen sollten in diesem Zusammenhang Verantwortlichkeiten klar definieren und für alle Beteiligten interne Handlungsanweisungen festlegen. Es braucht an dieser Stelle auch Schulung der Disponenten- und Kundenservice-Teams, um beispielsweise die Integration in das digitale Zolldokumente-Management problemlos zu gestalten. Um Medienbrüche zu vermeiden, ist an eine nahtlose Anbindung an ERP- und WMS-Systeme (Warehouse Management System) zu denken. Idealerweise lässt sich dies in einzelnen Pilotprojekten testen, bevor die Anwendung in der Praxis erfolgt.
- Kontinuierliche Optimierung: Predictive-Analytics-Systeme versprechen viele Vorteile, müssen in der Praxis aber immer wieder an sich verändernde Marktbedingungen angepasst werden. Zudem kann es gerade in der Einführungsphase zu nicht ausreichenden Prognosegenauigkeiten kommen. Erforderlich sind daher regelmäßige Audits, Anpassung der Algorithmen und der Aufbau von Feedback-Schleifen in Kombination mit Benchmarks.
- Technische Anpassbarkeit: Speziell in den Bereichen des maschinellen Lernens und der KI hat sich eine starke Dynamik entwickelt. Unternehmen, die im Exportgeschäft aktiv sind, sollten somit fortlaufend auf die Aktualität ihrer IT-Systeme und Möglichkeiten der Skalierbarkeit achten.
Fazit: Mit Vorhersageanalysen kann der Warenversand optimiert werden
Lieferketten sind inzwischen sehr eng verflochten – auch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. Verzögerungen beim Zoll (die zum Beispiel durch unvollständige Dokumente oder Anmeldungen entstehen), unkontrollierbare Ereignisse wie Streiks oder regionale bzw. nationale Feiertage können die enge Taktung bereits durcheinanderbringen. Für exportierende Unternehmen bedeutet dies eine Herausforderung, da mit zu späten Lieferungen auch hohe Kosten verbunden sind. Predictive Analytics sind durch die Auswertung verschiedener Prozessparameter und Tracking-Kennzahlen in der Lage, Störfaktoren frühzeitig zu erkennen und Verzögerungswahrscheinlichkeiten zu berechnen, bevor diese tatsächlich eintreten. So profitieren Unternehmen nicht nur von einer höheren Vorwarnzeit, sondern können Störungen von vornherein aus dem Weg gehen bzw. proaktiv entgegenwirken.