Für Unternehmen in der Europäischen Union (EU), die im grenzüberschreitenden Handel und tätig oder auf Warenlieferungen aus Drittstaaten angewiesen sind, spielen Nichterhebungsverfahren eine zentrale Rolle. Findet ein Nichterhebungsverfahren Anwendung, lässt sich die Zahlung von Einfuhrabgaben zeitlich nach hinten verlagern oder sogar ganz vermeiden. Allerdings sind die Nichterhebungsverfahren an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Werden diese nicht erfüllt, kann das Unternehmen das Nichterhebungsverfahren nicht in Anspruch nehmen.
Die Bedeutung der Nichterhebungsverfahren
Nichterhebungsverfahren sind zollrechtliche Maßnahmen, bei denen trotz Überführung von Drittlandswaren in das Gebiet der EU keine Einfuhrabgaben erhoben werden. Damit heben sich diese Verfahren grundlegend von der direkten Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ab, bei der Zölle und andere Abgaben sofort fällig werden und zu entrichten sind.
Seit dem Inkrafttreten des Unionszollkodex (UZK) werden diese Maßnahmen als „besondere Verfahren“ bezeichnet und sind in Artikel 210 UZK geregelt. Demnach umfassen die besonderen Verfahren vier Hauptkategorien: Versand, Lagerung, Verwendung und Veredelung. Jede dieser Kategorien hat ihre spezifischen Anwendungsbereiche und Voraussetzungen:
- Versandverfahren: Das Versandverfahren (externer und interner Versand) ermöglicht die Beförderung von Waren unter zollamtlicher Überwachung zwischen verschiedenen Zollstellen, ohne dass Einfuhrabgaben erhoben werden. Dies ist besonders relevant für Transporte durch mehrere EU-Mitgliedstaaten oder bei der Verwendung von Zollverfahren wie Carnet TIR („Transports Internationaux Routiers“, zeitweilige Aussetzung von Einfuhrzöllen und Abgaben bei Transport im TIR-Verfahren).
- Lagerverfahren: Das Zolllagerverfahren und Freizonen gehören zur Kategorie der Lagerung. Waren können in zugelassene Zolllager verbracht werden, ohne dass dafür Einfuhrabgaben erhoben werden. Diese werden erst bei der Entnahme aus dem Lager und der Überführung in den freien Verkehr fällig.
- Verwendungsverfahren: Die vorübergehende Verwendung und Endverwendung ermöglichen die Einfuhr von Waren für spezielle Zwecke. Bei der vorübergehenden Verwendung können Nicht-Unionswaren vollständig oder teilweise von Einfuhrabgaben befreit werden, wenn sie nur vorübergehend im Zollgebiet der EU verwendet und anschließend wieder ausgeführt werden sollen.
- Veredelungsverfahren: Die aktive Veredelung und passive Veredelung sind zwei wichtige Elemente in modernen Lieferketten. Die Verfahren machen die Einfuhr von Waren zur Bearbeitung, Verarbeitung oder Reparatur unter Vermeidung von Einfuhrabgaben möglich. So kann zum Beispiel ein Maschinenbauunternehmen im Rahmen des Veredelungsverfahrens Bauteile abgabenfrei aus Drittstaaten einführen und diese in Präzisionsmaschinen verbauen – die dann wiederum für die Ausfuhr bestimmt sind.
Wirtschaftliche Bedeutung und Vorteile
Nichterhebungsverfahren bieten Unternehmen wirtschaftliche Vorteile. Der wichtigste Aspekt ist die Schonung der verfügbaren Liquidität, da Zollabgaben erst bei einer tatsächlichen Verwendung oder beim Verkauf der Waren (Überführung in den freien Verkehr) fällig werden. So erhöht sich die Verfügbarkeit der finanziellen Mittel und es wird eine flexible Kapitaldisposition ermöglicht.
Zudem unterstützen Nichterhebungsverfahren die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im internationalen Handel – etwa im Rahmen von Wirtschaftsabkommen. Exportorientierte Betriebe können Rohstoffe und Vorprodukte ohne Belastung durch Zollgebühren einführen, veredeln bzw. verarbeiten und anschließend als fertige Produkte ausführen. Dies stärkt die Position europäischer Unternehmen in globalen Lieferketten.

Beantragung und Bewilligung der Nichterhebungsverfahren
Für die in Artikel 210 UZK genannten Verfahren sind – mit Ausnahme der Verfahren der Versandkategorie – Bewilligungen erforderlich. Im Rahmen der Antragstellung wird unter anderem geprüft, ob:
- die wirtschaftliche Notwendigkeit nachgewiesen ist,
- keine betrügerische Absicht vorliegt,
- die Nämlichkeit der Waren (eindeutige Identifizierung und keine Veränderbarkeit oder Austauschbarkeit) vorhanden ist.
Unternehmen, die die Nichterhebungsverfahren nutzen wollen, müssen sich mit dem Thema der Sicherheitsleistung befassen. Sicherheitsleistungen sind eine Maßnahme, um die Zahlung möglicherweise anfallender Einfuhrabgaben abzusichern. Speziell für kleinere und mittlere Logistikdienstleister können im Zusammenhang mit dieser Absicherung jedoch Herausforderungen entstehen.
Praktische Anwendung und Risikomanagement
In der Anwendung erfordern Nichterhebungsverfahren ein professionelles Zoll- und Compliance-Management. Unternehmen müssen gewährleisten, dass alle Verfahrensvorschriften eingehalten werden, da Verstöße zu Zollnachforderungen oder möglicherweise auch strafrechtlichen Konsequenzen führen können. In diesem Kontext sind unter anderem die weitreichenden Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten von Bedeutung. Aus diesem Grund sollte die ordnungsgemäße Buchführung und Dokumentation relevanter Geschäftsvorgänge unbedingt engmaschig überwacht werden.
Besondere Aufmerksamkeit gilt auch der korrekten Warenklassifizierung, der Ursprungsbestimmung und der Einhaltung handelsrechtlicher Bestimmungen (zum Beispiel im Zusammenhang mit Dual-Use-Gütern. Die komplexen Vorschriften erfordern spezialisiertes Fachwissen, weshalb viele Unternehmen die Unterstützung durch professionelle Zollagenturen mit umfassender Expertise in Anspruch nehmen.
Fazit: Mit Nichterhebungsverfahren Zollabgaben vermeiden
Zollrechtliche Nichterhebungsverfahren sind ein zentrales Instrument des europäischen Zollrechts, das Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile bietet. Die im UZK verankerten Regelungen ermöglichen eine flexible und liquiditätsschonende Abwicklung von grenzüberschreitenden Handelsgeschäften und Produktionsprozessen.
Allerdings setzt die Nutzung dieser Verfahren fachliches Know-how, eine sorgfältige Planung und die konsequente Beachtung der zollrechtlichen Bestimmungen voraus. Unternehmen müssen frühzeitig prüfen, welche Verfahren für ihre konkreten Geschäftstätigkeiten geeignet sind und sollten nicht davor zurückschrecken, sich diesbezüglich professionell beraten zu lassen.